Legal News Dezember 2023
News – 02.01.2024
Es freut uns, Ihnen nachfolgend unsere Legal News für Dezember 2023 zu übermitteln.
Gegliedert nach Praxisgebieten haben wir aktuelle Judikatur und gesetzliche Neuerungen kompakt zusammengefasst:
- Arbeitsrecht
- Gesellschafts- und Konzernrecht
- Immobilienrecht
- Litigation
- Private Clients
- Restrukturierung und Sanierung | Insolvenz
- Strafrecht | Compliance
- Unternehmens- und Vertragsrecht
- Datenschutz
ARBEITSRECHT
Versuchte Aufnahme von Gesprächen zwischen betriebszugehörigen Personen
In der vorliegenden Entscheidung wurde die Frage behandelt, ob die Entlassung einer Arbeitnehmerin aufgrund der versuchten Aufnahme eines Gesprächs zwischen zwei betriebszugehörigen Personen gerechtfertigt ist.
Laut Sachverhalt hatte die Klägerin durch Liegenlassen ihres Mobiltelefons den Versuch unternommen, ein Gespräch zwischen einem Vorstandsmitglied und ihrer direkten Vorgesetzten aufzunehmen. Gemäß ständiger Rechtsprechung begründet die Aufnahme eines Gesprächs mit dem Arbeitgeber eine Vertrauensunwürdigkeit, welche die Entlassung gemäß § 27 Z 1 AngG rechtfertigt. Die Klägerin berief sich im vorliegenden Fall darauf, dass die konkrete Konstellation nicht von der ständigen Rechtsprechung umfasst sei, da sie kein eigenes Gespräch mit dem Arbeitgeber, sondern eines zwischen zwei Betriebszugehörigen aufnahm.
Der Oberste Gerichtshof wies die außerordentliche Revision zurück und verwies begründend darauf, dass die Anwendbarkeit der bestehenden Rechtsprechung auf den konkreten Sachverhalt nicht notwendig ist. Das Verhalten der Klägerin erweist sich nach der Beurteilung des OGH jedoch auch ohne vorliegende Rechtsprechung hierzu als ursächlich für das Vorliegen von Vertrauensunwürdigkeit. Die Vorinstanzen hätten diesen Umstand korrekt erkannt. Die Begründung hierfür liegt in der gerichtlichen Strafbarkeit des Aufnehmens von fremden Telefongesprächen gemäß § 120 Abs 1 StGB. Demnach ist es für die Zulässigkeit einer Entlassung aufgrund der Aufnahme eines betriebsinternen Gesprächs unerheblich, ob dieses zwischen dem Arbeitnehmer und dem Vorgesetzten oder zwischen anderen betriebsinternen Personen stattfindet.
OGH 21.4.2023, 8 ObA 18/23i
GESELLSCHAFTS- UND KONZERNRECHT
Zur Vergabe von Überbrückungsdarlehen im Rahmen eines Joint Ventures
In der vorliegenden Entscheidung befasste sich der OGH mit der Vergabe von Überbrückungsdarlehen zwischen Joint Venture-Partnern und einer gegebenenfalls dafür erforderlichen Konzession nach §§ 1, 4 BWG.
Die Klägerin und die Beklagte arbeiteten im Rahmen eines Joint Ventures zusammen. Dabei gewährte die Klägerin der Beklagten zwei Überbrückungsdarlehen („Bridge Loan Agreements“) zum Zweck der Finanzierung der gemeinsamen Projektgesellschaften (jeweils GmbH). Gegenstand des Verfahrens ist die Rückzahlung der aushaftenden Valuta samt Zinsen dieser zwei Überbrückungsdarlehen. Die Vorinstanzen gaben der Klage statt. Die außerordentliche Revision der Beklagten wurde vom OGH in diesem Fall für nicht zulässig erklärt.
Beim Betrieb von Kreditgeschäften gem § 1 Abs 1 Z 3 BWG ist nach § 4 Abs 1 BWG eine Konzession der Finanzmarktaufsichtsbehörde erforderlich. Liegt diese Konzession nicht vor, so besteht nach § 100 BWG kein Anspruch auf alle mit diesem Geschäft verbundenen Vergütungen (zB Zinsen, Provisionen). Im vorliegenden Fall wird die Anwendung des § 100 BWG abgelehnt, da mangels Gewerblichkeit kein Kreditgeschäft iSd BWG besteht. Die Voraussetzung der Gewerblichkeit ergibt sich bereits aus § 1 Abs 1 BWG. Der OGH führt dazu an, dass bei gelegentlichen Kreditgewährungen, wie sie im privaten bürgerlichen oder geschäftlichen Verkehr vorkommen, die Gewerblichkeit nicht gegeben ist. Die Materialien zum BWG verweisen hinsichtlich der Gewerblichkeit auf das UstG. Demnach ist jede nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen, auch wenn die Absicht, Gewinn zu erzielen, fehlt, gewerblich. Laut VwGH kommt die Verneinung der Gewerblichkeit insbesondere dann in Betracht, wenn Kreditgeber- und Kreditnehmer gesellschaftsrechtlich verbunden sind; vorausgesetzt, der Kreditgeber tätigt derartige Geschäfte nicht auch in anderen Fällen (mit Dritten). Im vorliegenden Fall bestand zwischen Klägerin und Beklagter eine Verbindung als Mitgesellschafterinnen in den Projektgesellschaften. Eine etwaige Gewinnerzielungsabsicht ist für die Qualifikation als Bankgeschäft nicht ausschlaggebend.
Bei dem Betrieb von Kapitalfinanzierungsgeschäften gem § 1 Abs 1 Z 15 BWG (auch Kreditsurrogat) handelt es sich um den Erwerb von Unternehmensanteilen, bei dem die Finanzierungsfunktion zentral ist. Hierfür fehlt es jedoch im vorliegenden Fall an den dafür erforderlichen Tatsachenfeststellungen. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte, dass die „Bridge Loan Agreements“ als partiarisches Darlehen mit Gewinnbeteiligung anzusehen sind.
Im Ergebnis erfordert die Vergabe von Überbrückungsdarlehen im vorliegenden Fall keine Konzession nach §§ 1, 4 BWG als Kreditgeschäft, da eine bloß zweimalige Kreditvergabe der Klägerin an die Beklagte erfolgt, und zwar auch dann nicht, wenn die Darlehensgeberin in Gewinnerzielungsabsicht handelt.
OGH 23.3.2023, 6 Ob 141/22m
IMMOBILIENRECHT
Neufestsetzung von Nutzwerten nach dem WEG
§ 9 Abs 2 Z 1 WEG 2002, § 9 Abs 2 Z 4 WEG 2002, § 10 Abs 2 WEG 2002
Die gerichtliche Neufestsetzung wegen baulicher Vorgänge nach Vollendung der ursprünglichen Bauführung kann nur innerhalb eines Jahres ab Vollendung dieser späteren Bauführung beantragt werden. Der Zeitpunkt einer Baubewilligung oder Bauanzeige spielt hingegen keine Rolle.
Diese Präklusivfrist von einem Jahr kommt jedoch nicht zur Anwendung, wenn das Gutachten mit den veralteten Nutzwerten gegen zwingende Grundsätze der Nutzwertberechnung verstößt (zB Änderung der Widmung von der Nutzungsart eines Objekts von Geschäftsraum in Wohnraum).
Eine Neufestsetzung der Nutzwerte ist jedoch nur gerechtfertigt, wenn sich die Widmung durch eine einvernehmliche privatrechtliche Vereinbarung oder eine gerichtliche Entscheidung geändert hat, nicht hingegen, wenn es bloß zu einer faktischen Veränderung und somit zu keiner Widmungsänderung kam.
OGH 19.7.2023, 5 Ob 233/22h
Freizeitwohnsitze in Tirol
§ 13 Abs 1 TROG 2022
Für das Vorliegen eines Freizeitwohnsitzes nach § 13 Abs 1 TROG 2022 ist nicht ausschlaggebend, dass man sich nicht länger als eine gewisse Anzahl an Tagen pro Jahr am Wohnsitz befindet. Vielmehr liegt ein Freizeitwohnsitz dann nicht vor, wenn er der Befriedigung eines ganzjährigen dringenden Wohnbedürfnisses dient und auch der Mittelpunkt der Lebensbeziehungen dort liegt. Es handelt sich um kumulative Voraussetzungen. Wenn zwar der Mittelpunkt der Lebensbeziehungen am betreffenden Wohnsitz liegt, damit jedoch kein ganzjähriges dringendes Wohnsitzbedürfnis verbunden ist, handelt es sich um einen Freizeitwohnsitz. Somit reichte es für die Revisionswerber (Pensionisten) nicht aus, nachzuweisen, dass sie sich eine gewisse Anzahl an Tagen pro Jahr (zB 220 Tage/Jahr) in Tirol aufhielten.
VwGH Ra 2023/06/0089
Privatzimmervermietung im Doppelhaus
§ 5 Z 10 Salzburger ROG 2009
Gem. § 5 Z 10 Salzburger ROG 2009 liegt Privatzimmervermietung dann vor, wenn eine Beherbergung von bis zu zehn Gästen in Gästezimmern oder höchstens drei Wohneinheiten im Hausverband der Vermieter, die in diesem ihren Hauptwohnsitz haben, vorliegt.
„Hausverband“ ist so zu verstehen, dass zwischen der Vermieterwohnung und den vermieteten Räumen eine räumlich-funktionelle Verbindung bestehen muss.
Kein Hausverband liegt bei zwei räumlich und funktionell getrennten Objekten in einem Doppelhaus vor, wenn die Objekte jeweils über einen eigenen Hauseingang, eine eigene Ordnungsnummer und über eine eigenständige haustechnische Infrastruktur verfügen.
VwGH Ro 2020/06/0004
LITIGATION
§ 932 ABGB – Wichtigkeit des Vertragsinhaltes für die Frage der Unbehebbarkeit eines Mangels
In dieser Entscheidung hatte sich der OGH mit den möglichen Gewährleistungsbehelfen und der Unbehebbarkeit eines Mangels zu beschäftigen. Er sprach dazu folgendes aus:
Gemäß § 932 Abs 1 ABGB kann der Übernehmer wegen eines Mangels entweder die Verbesserung oder den Austausch der Sache verlangen oder den Preis mindern oder den Vertrag auflösen. Zunächst kann der Übernehmer nur die Verbesserung oder den Austausch der Sache verlangen, es sei denn, dass die Verbesserung oder der Austausch (unter anderen) unmöglich ist (§ 932 Abs 2 ABGB). Gegenstand des Vertrags war ein Pelletskessel mit einer (kostengünstigeren) hydraulischen Weiche anstelle eines Pufferspeichers. Eine Verbesserung (Herstellung einer dem Stand der Technik entsprechenden Eignung des Pelletskessels für das Wärmeabnahmesystem des Klägers) kommt aber nur durch den Einbau eines Pufferspeichers als Lastausgleich in Betracht.
Als Quintessenz lässt sich aus dem Judikat ableiten, dass wenn der Vertragsinhalt vorschreibt, dass eine Sache nur mit einem bestimmten System (hier: hydraulische Weiche) herzustellen ist, sie aber nur durch ein anderes (hier: Pufferspeicher) zu sanieren ist, der Mangel gemessen am Vertragsinhalt unbehebbar ist. Damit ist der Kläger auf den sekundären Behelf der eventualiter angestrebten Preisminderung verwiesen. Diese Entscheidung verdeutlicht, dass es im Bereich etwaiger vorliegender Mängel, insbesondere für die Frage der möglichen Verbesserung, maßgeblich auf den Vertragsinhalt ankommt. Verfahrensrechtliche Erwägungen sind dabei nicht von Belang.
OGH 19.9.2023, 2 Ob 142/23f
PRIVATE CLIENTS
Legitimation zur Erhebung von Hinzu- und Anrechnungsbegehren
Ein Großvater hatte 1994 seiner Tochter ein Wohnrecht an einem Einfamilienhaus unentgeltlich eingeräumt. Im Jahr 2015 hatte er sodann seinem Enkelsohn (dem Sohn der Tochter) eine Liegenschaft geschenkt. 2020 war der Großvater verstorben. Der überschuldete Nachlass war der Witwe an Zahlungs statt überlassen worden.
Die Tochter nahm in weiterer Folge als Klägerin den Enkelsohn (= ihren Sohn) als Beklagten als vom Erblasser Beschenkten in Anspruch.
Der Enkelsohn wandte ein, dass der Wert des unentgeltlich eingeräumten und daher als Schenkung zu qualifizierenden Wohnrechts an die Tochter (= seine Mutter) anzurechnen sei und einen etwaigen Pflichtteilsanspruch der Klägerin übersteige.
Zur Sicherung des Pflichtteilsschutzes sind in §§ 781 ff ABGB Regelungen zur Hinzurechnung von Schenkungen vorgesehen, damit Pflichtteilsansprüche nicht durch unentgeltliche Vermögensübertragungen geschmälert oder vereitelt werden können.
Reicht der Wert der Verlassenschaft wegen der Hinzurechnung von Schenkungen nicht für die Pflichtteilsansprüche aus, besteht nach Maßgabe der §§ 789 ff ABGB ein unmittelbarer Anspruch der Pflichtteilsberechtigten gegen den Beschenkten.
Der OGH qualifizierte im gegenständlichen Fall zuerst den Enkelsohn als abstrakt Pflichtteilsberechtigten (das sind nach § 757 ABGB die Nachkommen sowie der Ehegatte/eingetragene Partner des Verstorbenen), jedoch nicht konkret Pflichtteilsberechtigten, zumal seine Mutter (= die Klägerin) als der die Abstammung vermittelnde Elternteil im Zeitpunkt des Todes des Erblassers am Leben und pflichtteilsberechtigt war.
Da der Enkelsohn weder Erbe noch konkret Pflichtteilsberechtigter war, unterlag er nicht der Hinzurechnungsregel nach § 783 Abs 1 Satz 1 ABGB. Da er aber auch nicht auf seinen Pflichtteil verzichtet oder sein Erbrecht ausgeschlagen hatte, war er aber auch nicht gemäß § 783 Abs 1 Satz 2 ABGB selbst zur Beantragung der Hinzu- und Anrechnung von Schenkungen an Pflichtteilsberechtigte legitimiert. Da er auch kein Vermächtnisnehmer war, lag auch kein Fall von § 783 Abs 2 ABGB vor.
In Übereinstimmung mit der überwiegenden Lehre sprach der OGH auch einem vom Wortlaut nach § 783 Abs 1 Satz 2 ABGB nicht erfassten Geschenknehmer in analoger Anwendung dieser Bestimmung die Legitimation zur Erhebung eines Hinzu- und Anrechnungsbegehrens zu, wenn der Geschenknehmer von einem konkret Pflichtteilsberechtigten wegen nicht ausreichender Verlassenschaft nach §§ 789 ff ABGB in Anspruch genommen wird.
OGH 25.7.2023, 2 Ob 100/23d
Keine leibliche Abstammung, kein Kontakt, dennoch voller Pflichtteil
Während aufrechter Ehe hatte ein Paar zuerst zwei Söhne und dann 1962 eine Tochter bekommen. 1963 war die Ehe aus alleinigem Verschulden des Vaters geschieden worden. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Vater bereits die Vermutung gehabt, dass keines der drei Kinder tatsächlich von ihm abstammte. Dennoch hatte er jeweils bis zum 18. Lebensjahr Unterhalt für alle Kinder gezahlt.
Nach der Scheidung hatten die Tochter und der Vater einander lediglich im Jahr 1974 anlässlich eines Familientreffens wiedergesehen, aber auch dort keinen direkten Kontakt gehabt.
Mit ca 30 Jahren hatte die Tochter 1992 versucht, über einen ihrer Brüder Kontakt zum Vater herzustellen. Dieser hatte seinen Sohn jedoch sehr direkt und äußerst unhöflich abgewiesen und ihm zu verstehen gegeben, dass er keinen Kontakt mit seinen vormaligen Kindern mehr haben wollte.
Mit Testament aus dem Jahr 2009 hatte der Vater seine nunmehrige Lebensgefährtin als Alleinerbin eingesetzt. 2019 war der Vater verstorben.
Im von der Verlassenschaft nach dem verstorbenen Vater angestrengten Verfahren auf Feststellung der Nichtabstammung der Tochter vom Vater war hervorgekommen, dass sie nicht seine leibliche Tochter war. Der Antrag war dennoch wegen Verfristung abgewiesen worden.
Die Tochter begehrte von der Lebensgefährtin ihren (nach einer Zahlung durch die Lebensgefährtin) restlichen Pflichtteil nach dem Erblasser iHv 50 % des reinen Nachlasses, da der Erblasser keine Pflichtteilsminderung verfügt habe (auch nicht stillschweigend) und ihr ein Kontakt zum Erblasser aufgrund dessen ersichtlichen Desinteresses nicht zumutbar gewesen sei.
Der OGH verwies zur Unzulässigkeit der Pflichtteilsminderung zuerst auf seine Vorjudikatur zum grundlosen „Meiden“ des Kontakts durch den Verstorbenen (§ 776 Abs 2 1. Fall ABGB) und bejahte dieses umso mehr, wenn nicht bloß (grundloses) Meiden vorliegt, sondern wie hier angestrebter Kontakt vom Erblasser aktiv abgelehnt worden war. Da es auf die rechtliche Verwandtschaft und nicht die leibliche ankomme, und der Erblasser also auch nicht als Grund für die Meidung des Kontakts die fehlende Blutsverwandtschaft anführen hätte können, war seine Weigerung zur Kontaktaufnahme als grundloses Meiden des Kontakts (auch) zur Klägerin zu qualifizieren.
Aufgrund der unfreundlichen Ablehnung jeglichen Kontakts hatte für die Klägerin überdies auch berechtigter Anlass bestanden, mit dem Erblasser keinen weiteren Kontakt mehr zu suchen (§ 776 Abs 2 2. Fall ABGB).
Dem Erblasser war daher das Recht zur Pflichtteilsminderung nicht zugestanden und die Frage, ob eine solche überhaupt vorgenommen worden war, musste nicht mehr beantwortet werden.
OGH 25.7.2023, 2 Ob 89/23m
RESTRUKTURIERUNG UND SANIERUNG | INSOLVENZ
Abgesonderte Befriedigung aus der Haftpflichtversicherung des Schuldners
Der Deckungsanspruch des Versicherungsnehmers einer Haftpflichtversicherung gegen einen Versicherer stellt im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Versicherungsnehmers ein Sondervermögen dar, welches nicht in die Insolvenzmasse fällt. Ein geschädigter Gläubiger des insolventen Versicherungsnehmers kann in weiterer Folge abgesonderte Befriedigung aus diesem Sondervermögen verlangen. Es handelt sich hierbei um ein sogenanntes Absonderungsrecht. Absonderungsansprüche sind Ansprüche auf abgesonderte Befriedigung aus bestimmten Vermögenswerten des Schuldners. Diese Gegenstände sind zwar Bestandteil der Insolvenzmasse, bilden aber eine Sondermasse. Erst ein nach der Befriedigung der Absonderungsgläubiger allfällig verbleibender Rest fließt der gemeinschaftlichen Insolvenzmasse zu. Der Absonderungsberechtigte wird daher im Gegensatz zu einem „normalen“ Insolvenzgläubiger, welcher im Regelfall nur eine Quote erhält, bevorrangt aus dem Absonderungsgut befriedigt.
Ein geschädigter Dritter kann im Falle der Insolvenz des Schädigers daher abgesonderte Befriedigung aus dem Deckungsanspruch begehren. Nach der Insolvenzeröffnung kann der Geschädigte ein Absonderungsrecht nach § 157 VersVG mit Klage gegen den Insolvenzverwalter geltend machen. Es bedarf keiner Forderungsanmeldung. Die Klage ist auf Zahlung bei sonstiger Exekution in den Deckungsanspruch zu richten. Wenn der Kläger ein solches Absonderungsrecht behauptet, kann er die Feststellung begehren, dass der Insolvenzverwalter für zukünftige Schäden mit dem Deckungsanspruch haftet.
In der gegenständlichen Entscheidung hat sich der OGH mit der Frage beschäftigt, ob bei der Geltendmachung des Absonderungsanspruchs auch der Deckungsanspruch zu prüfen sei. Der OGH hielt hierzu, anknüpfend an die bisherige Judikatur, wie folgt fest:
Für das Bestehen eines behaupteten Absonderungsanspruchs des Geschädigten entscheidungswesentlich ist vorerst, ob die geltend gemachten Schadenersatzansprüche vom Versicherungsverhältnis des Schädigers und seiner Haftpflichtversicherung umfasst sind. Die Ratio des § 157 VersVG liegt in der Sicherung des Haftungsfonds des Geschädigten. Der Geschädigte macht ein Absonderungsrecht geltend, welches den Anspruch auf abgesonderte Befriedigung aus bestimmten Sachen/Vermögenswerten des Schuldners beinhaltet (= Sondermasse). Es ist erforderlich, bei der Prüfung des geltend gemachten Absonderungsanspruches – bei dessen Bestreitung durch den Insolvenzverwalter und/oder der als Nebenintervenientin beigetretenen Versicherung – auch zu beurteilen, ob die Sondermasse besteht (hier Deckungsanspruch).
OGH 25.9.2023, 17 Ob 15/23i
STRAFRECHT | COMPLIANCE
Unternehmen in der Krise und Strafrecht
Im Anlassfall haben sich das Erstgericht und der OGH mit Liquiditätsabflüssen diverser Unternehmen in der Krise unter den Gesichtspunkten der Untreue nach § 153 StGB und den Insolvenzdelikten nach §§ 156ff StGB befasst.
Als Untreue nach §§ 153 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB haben beide Gerichte die Gewährung einer Kreditvermittlungsprovision durch die Angeklagte als alleinvertretungsbefugte Gesellschafterin einer OG an eine Firma in Höhe von EUR 130.000,00 gewürdigt. Ausschlaggebend dafür war, dass das Erstgericht mängelfrei festgestellt hat, dass diese Zahlung jedenfalls nicht in einem für eine Kreditvermittlung üblichen, eine Zahlung von mehr als 2 % der Darlehenssumme [= EUR 47.000,00] „rechtfertigenden“ Ausmaß getätigt wurde. Durch diese nicht fremd- bzw marktübliche Kreditvermittlungsprovision hat die betroffene OG einen Vermögenschaden iHv EUR 83.000,00 erlitten. Gegen die Annahme eines Schadens hat die Angeklagte ua damit argumentiert, dass infolge der Absetzbarkeit der Provision von der Einkommensteuer den Gesellschafterinnen kein Vermögenschaden entstanden ist. Der OGH hat diesem Argument eine klare Absage erteilt und zu Recht darauf hingewiesen, dass auch einer OG Rechtsfähigkeit zukommt (§ 105 zweiter Satz UGB), sie selbst Eigentümerin des Gesellschaftsvermögens ist und nicht – auch nicht anteilig – ihre Gesellschafterinnen. Etwaige steuerliche Vorteile für die Gesellschafterinnen sind für die Beurteilung des tatbestandsrelevanten Vermögenschadens der OG rechtlich irrelevant.
Im Bereich der Insolvenzdelikte (§§ 156 ff StGB) sind die Ausführungen beider Gerichte zur groben Fahrlässigkeit bei § 159 StGB lehrreich. § 159 StGB pönalisiert die grob fahrlässige Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen. Vorliegend hat sich die Angeklagte als faktische Geschäftsführerin einer GmbH ein Darlehen in Höhe von insgesamt EUR 2.395.740,00 ohne Besicherung, für lange Laufzeiten bis zu elf Jahren, zu endfälligen Zinsen und ohne außerordentliche Kündigungsmöglichkeit durch die Gesellschaft gewährt. Dadurch hat sie die Zahlungsunfähigkeit dieser Gesellschaft herbeigeführt und einen bedeutenden Bestandteil des Vermögens verschleudert. Entgegen der Kritik der Angeklagten hat der OGH die Annahme der groben Fahrlässigkeit durch das Erstgericht gebilligt. Damit steht fest, dass bei der Beurteilung der groben Fahrlässigkeit folgende Kriterien/Sachverhaltsaspekte relevant sind:
- Interessenkollision bei der Darlehensgewährung
- Rückzahlung der Valuta und Zinsen (bei Laufzeit von sieben bis elf Jahren) endfällig
- Keine Vereinbarung einer Möglichkeit der außerordentlichen Kündigung
- Kein Anspruch der Gesellschaft aus den Darlehensverträgen
- Entzug des Großteils der Erträge der Gesellschaft durch die Darlehensgewährungen
OGH 7.9.2023, 12 Os 60/23z
UNTERNEHMENS- UND VERTRAGSRECHT
§ 11 FAGG – Kein neuerliches Widerrufsrecht bei automatischer Vertragsverlängerung
In dieser Entscheidung musste sich der EuGH aufgrund eines Vorabentscheidungsersuchens des OGH (3 Ob 103/22a) unter anderem mit der Auslegung des § 11 FAGG und der Frage auseinandersetzen, ob die automatische Verlängerung eines Fernabsatzvertrags mangels rechtzeitiger Kündigung ein neuerliches Widerrufsrecht nach Art 9 Verbraucherrechte-RL 2011/83/EU auslöst. Er kam dabei zusammengefasst zu folgender sachgerechter Lösung:
Ein Fernabsatzvertrag über ein Dauerschuldverhältnis (hier: Zugang zu einer Lernplattform für Schüler) beginnt mit einer kostenlosen Testphase und geht danach mangels rechtzeitiger Kündigung automatisch in ein kostenpflichtiges befristetes Vertragsverhältnis über, das sich in Folge wiederum mangels rechtzeitiger Kündigung automatisch verlängert. Sofern der Verbraucher bei Vertragsabschluss klar, verständlich und ausdrücklich darüber informiert wird, dass die Dienstleistung nach der kostenlosen Phase kostenpflichtig wird, besteht das Widerrufsrecht nach Art 9 Verbraucherrechte-RL nur einmal bei Abschluss. Es kommt daher laut EuGH dazu, dass das Widerrufsrecht dem Verbraucher nicht bei jeder Verlängerung, sondern grundsätzlich nur am Beginn zusteht.
EuGH 5.10.2023, C-565/22
Zu den Voraussetzungen eines Kalkulationsirrtums beim Werkvertrag – Anpassung des Entgelts
Die Beklagten (Auftraggeber) beauftragten die Durchführung von Fassadenarbeiten zu einem Pauschalpreis. Infolge von unrichtigen Flächenangaben der Auftraggeber kam es zu einer Massenmehrung. Die Auftragnehmerin begehrte daraufhin unter Berufung auf einen Kalkulationsirrtum die Anpassung des Entgelts.
Ein Irrtum über die Kalkulation berechtigt dann zur Anpassung des Entgelts, wenn die Kalkulation des Preises zum entscheidenden Gegenstand der Vertragsverhandlung bzw. Inhalt des Geschäfts gemacht wurde. Erforderlich hierfür ist die Offenlegung der Kalkulationsgrundlagen und das Einvernehmen darüber, dass das Geschäft zu diesen Bedingungen auf der Basis dieser Kalkulation abgeschlossen wird.
Gegenständlich übermittelten die Auftraggeber mit der Einladung zur Angebotslegung an die Auftragnehmerin konstruktive Leistungsbeschreibungen mit sehr detailliert beschriebenen Einzelpositionen unter Angabe von Mengen je Position. Die Auftragnehmerin hat ihre Angebote unter Zugrundelegung dieser Angaben erstellt. Zwar hat es die Auftragnehmerin unterlassen, die Flächenangaben anhand der Planunterlagen nachzurechnen, die falsche Flächenangabe wurde jedoch von den Auftraggebern ausdrücklich bestätigt. Nach dieser ausdrücklichen klarstellenden Bestätigung der (falschen) Flächenangabe durfte die Auftragnehmerin davon ausgehen, dass diese Mengen ohne weiteres Nachrechnen dem Letztangebot zugrunde gelegt werden konnten und war daher die Anpassung des Vertrages und somit des Entgelts möglich.
OGH 17.8.2023, 5 Ob 205/22s
DATENSCHUTZ
Auskunftsrecht gemäß Art 15 DSGVO
Der VwGH gelangte in der vorliegenden Entscheidung hinsichtlich der Reichweite des Auskunftsrechtes gemäß Art 15 DSGVO zu folgendem Ergebnis, wobei als Quintessenz festgehalten werden kann, dass das Auskunftsrecht gemäß Art 15 DSGVO auch den Inhalt von Datenübermittlungen an konkrete Empfänger umfasst:
Die Ausübung des in Art 15 DSGVO vorgesehenen Auskunftsrechts muss es der betroffenen Person nicht nur ermöglichen, zu überprüfen, ob die sie betreffenden Daten richtig sind, sondern auch, ob diese in zulässiger Weise verarbeitet werden. Dieses Auskunftsrecht ist insbesondere erforderlich, um es der betroffenen Person zu ermöglichen, gegebenenfalls ihr Recht auf Berichtigung, ihr Recht auf Löschung und ihr Recht auf Einschränkung der Verarbeitung sowie ihr Recht auf Widerspruch gegen die Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten oder im Schadensfall ihr Recht auf Einlegung eines gerichtlichen Rechtsbehelfs auszuüben. Ausgehend davon, ist der im angefochtenen Erkenntnis des BVwG erteilte Auftrag an die Revisionswerberin, Auskunft über den Inhalt von an konkrete Empfänger übermittelte Daten zu geben, nicht als rechtswidrig zu erkennen.
Der Kerninhalt des Auskunftsrechts gemäß Art 15 DSGVO wird im Schrifttum darin gesehen, dass der Verantwortliche der betroffenen Person den konkreten Inhalt aller über sie verarbeiteten Daten offenzulegen hat. Der EuGH hat schon zur Datenschutzrichtlinie klargestellt, dass das Recht auf Auskunft auch den Inhalt der übermittelten Information umfasst und dabei auf die Grundsätze der Datenminimierung und Speicherbegrenzung Bedacht genommen.
Im Zusammenhang mit dem Auskunftsrecht nach Art 15 DSGVO ist hervorzuheben, dass innerhalb einer Maximalfrist von einem Monat, jedenfalls eine Auskunft erfolgen muss. Das heißt auch wenn keine Daten der betroffenen Person verarbeitet werden, ist eine Negativauskunft zu erteilen, ansonsten kann eine Geldstrafe verhängt werden.
VwGH 3.8.2023, Ro 2020/04/0015
Autor:innen
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Johannes EdthalerRechtsanwalt | PartnerDetails zur Person
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Christina HödlmayrRechtsanwältin | PartnerinDetails zur Person