Rechtliche Stellung einer britischen Limited mit Verwaltungssitz in Österreich nach dem Brexit
News – 27.07.2022
OGH 27.01.2022, 9 Ob 74/21 d
In der Entscheidung 9 Ob 74/21d hatte der OGH erstmals seit dem Brexit über die Beurteilung der Rechts- und Parteifähigkeit einer englischen Limited Liability Company (Ltd.) mit Verwaltungssitz in Österreich und Satzungssitz im Vereinigten Königreich zu entscheiden.
Sachverhalt:
- Eine nach englischem Recht gegründete private limited company mit Sitz in Wirral, Großbritannien, hatte ihren Verwaltungssitz in Österreich. Die Limited hatte nur eine Gesellschafterin.
- Die Limited hatte vor einem österreichischen Gericht die Beklagte auf Leistung eines Geldbetrags aus einem Bauvorhaben geklagt. Die Beklagte beantragte die Zurückweisung der Klage, weil die klagende Limited aufgrund des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union ihre Rechtsfähigkeit und somit ihre Parteifähigkeit verloren habe.
- Das Erstgericht wies die Klage im Wesentlichen mit der Begründung zurück, dass die Klägerin in Folge des Brexits nicht mehr als juristische Person zu qualifizieren sei und sie damit nicht mehr rechts- und parteifähig sei. Die Klägerin hätte innerhalb der Übergangsfrist gemäß Brexit-Begleitgesetz (Bre-BeG 2019) entsprechende Vorkehrungen treffen sollen. Das Erstgericht sprach zudem aus, dass die Parteienbezeichnung der Klägerin nicht auf eine GesbR geändert werden könne, da diese nicht rechtsfähig ist und da die Klägerin auch nur eine Gesellschafterin habe.
- Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Klägerin teilweise Folge und wies das Erstgericht an, das Verfahren fortzusetzen. Das Rekursgericht vertrat dabei die Ansicht, dass die Klägerin seit dem 01.01.2021 (Ende der Übergangsfrist gemäß Bre-BeG 2019) weiterhin als „Liquidationsgesellschaft“ sui generis rechtlich existent sei und sie daher sowohl rechts- als auch parteifähig sei.
- Die Beklagte erhob gegen die Entscheidung des Rekursgerichts Revisionsrekurs welchen der OGH als nicht berechtigt abwies.
Entscheidung des OGH
- Der OGH führte dazu aus, dass er zwar den vom Rekursgericht fingierten Wandel zur rechtsfähigen Liquidationsgesellschaft ablehne, dies jedoch nicht bedeute, dass die Klägerin als Auslandsgesellschaft rechtlich völlig erlöschen würde.
- Nach österreichischem Kollisionsrecht ist die Frage, ob eine ausländische Gesellschaft rechts- und parteifähig ist, nach Maßgabe des Gesellschaftsrechts des Staates zu beurteilen, in dem die Gesellschaft den tatsächlichen Sitz ihrer Hauptverwaltung hat („Sitztheorie„, § 10 IPRG). Andere Rechtsordnungen wie zB die englische Rechtsordnung knüpfen das Gesellschaftsstatut dagegen an das Recht des Staats an, in dessen Hoheitsgebiet die Gesellschaft registriert ist („Gründungstheorie„).
- Eine in einem anderen Staat registrierte Gesellschaft (zB eine britische limited liability company), die nach dessen Recht gültig existiert (Gründungstheoriestaat), ist nach dem österreichischen Kollisionsrecht dann als ausländische Gesellschaft in Österreich anzuerkennen, wenn sie ihren Hauptverwaltungssitz auch im Gründungsstaat hat, nicht aber, wenn sich dort lediglich ihr Satzungssitz befindet, während der Sitz der Hauptverwaltung in Österreich liegt.
- In Bezug auf EU-Gesellschaften gilt jedoch nach Maßgabe des Unionsrechts die Niederlassungsfreiheit. Diese erlaubt es EU-Gesellschaften, in Zuzugsfällen ihre Rechts- und Parteifähigkeit bei einer Sitzverlegung (insbesondere Verlegung des Verwaltungssitzes) in einen anderen Mitgliedsstaat beizubehalten, sofern der Wegzugsstaat nicht den Verlust der Rechtsfähigkeit anordnet. Zuzugsstaaten haben daher insbesondere bei aus Gründungstheoriestaaten zugezogene Gesellschaften als dem Recht des Gründungsstaats unterliegende Gesellschaften anzuerkennen. Daher konnten britische Gesellschaften bis zum Brexit ihren Verwaltungssitz ins EU-Ausland bzw. auch nach Österreich verlegen, ohne dabei ihre Rechts- und Parteifähigkeit nach britischem Recht zu verlieren.
- Gemäß dem Bre-BeG 2019 wurde britischen Gesellschaften mit Verwaltungssitz in Österreich eine Übergangsfrist bis zum 31.12.2020 eingeräumt, innerhalb der sie den Wegfall ihrer Rechts- und Parteifähigkeit verhindern konnten, beispielsweise durch eine Einbringung in oder eine grenzüberschreitende Verschmelzung auf eine österreichische Kapitalgesellschaft. Auch eine grenzüberschreitende Verlegung des Satzungssitzes wäre möglich gewesen.
- Im gegenständlichen Fall hatte die britischen Limited keinerlei Anpassungen innerhalb der Übergangsfrist gemäß Bre-BeG 2019 vorgenommen hatte.
- Der OGH führte aus, dass eine britische Limited wie eine Gesellschaft aus einem Nicht-EU-Mitgliedstaat zu betrachten ist und für eine zugezogene britische Limited nach dem 01.01.2021 die Niederlassungsfreiheit des Unionsrechts nicht gilt und sich diese auch nicht aus dem Handels- und Kooperationsabkommens zwischen der EU und dem Vereinigen Königreich vom 24. 12. 2020 ergibt.
- Nach dem Brexit unterliege eine britische Limited (wie auch eine nach dem Recht eines Nicht-EU-Staats gegründete Gesellschaft) mit Verwaltungssitz in Österreich dem österreichischen Recht (Sitztheorie). Sie verfüge in Österreich nicht über Rechts- und Parteifähigkeit, weil sie nicht nach österreichischem Recht gegründet wurde. Allerdings werden solche zugezogenen Gesellschaften in Österreich nicht als rechtliches nullum qualifiziert, sondern „durch die Brille materiell österreichischen Gesellschaftsrechts“ beurteilt und einer österreichischen Gesellschaftsform zugeordnet. Besteht die zugezogene Gesellschaft aus mehreren Gesellschaftern, sei sie als eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts zu qualifizieren, bei Fehlen einer Gesellschaftermehrheit sei sie ihrem Alleingesellschafter zuzuordnen (Einzelunternehmen). Der Verlegung des Verwaltungssitzes nach Österreich führe somit zum Verlust der Rechts- und Parteifähigkeit des ausländischen Rechtsträgers und geht mit einer Vermögensübertragung auf den oder die Gesellschafter einher, die gemäß § 142 UGB (Anwachsung) vollzogen werde. Die ausländische Gesellschaft erlösche ohne Liquidation. Das Gesellschaftsvermögen gehe im Weg der Gesamtrechtsnachfolge auf den oder die Gesellschafter über.
- Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts ist keine juristische Person und auch nicht rechts- und parteifähig. Zurechnungsobjekte der Rechte und Pflichten sind deren Gesellschafter, die auch die Vertragspartner eines Dritten sind und im Prozess als Prozessparteien auftreten. Bei Vollbeendigung einer juristischen Person mit Gesamtrechtsnachfolge werde die Parteibezeichnung auf den (oder die) Gesamtrechtsnachfolger umgestellt. Es entspreche auch der Rechtsprechung, dass bei Gesamtrechtsnachfolge des Übernehmers im Wege der Anwachsung (§ 142 UGB) die Parteibezeichnung auf den Namen der Rechtsnachfolgerin richtigzustellen sei.
Key-Take-aways für die Praxis
- Seit dem 31.12.2020 ist auf die britische Limited, welche ihren Verwaltungssitz in Österreich und ihren Satzungssitz im Vereinigten Königreich hat, uneingeschränkt die Sitztheorie anzuwenden. Dasselbe galt bisher schon für sämtliche Nicht-EU-Auslandsgesellschaften, wie bspw. Gesellschaften aus der Schweiz.
- Die Anwendung der Sitztheorie führt dazu, dass britische Limited und in einem Nicht-EU-Mitgliedstaat gegründete Gesellschaften im Falle der Verlegung des Verwaltungssitzes nach Österreich in Österreich
- nicht als ausländische Gesellschaften anerkannt werden,
- als solche in Österreich ihre Rechts- und Parteifähigkeit verlieren,
- entweder als GesbR (bei Gesellschaftermehrheit) oder als Einzelunternehmen (bei nur einem Gesellschafter) qualifiziert werden;
- mit der Verlegung des Verwaltungssitzes das Vermögen der ausländischen Gesellschaft als im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf deren Gesellschafter/Einzelgesellschafter übertragen wird (§ 142 UGB analog); und
- bei laufenden Prozessen der oder die Gesellschafter der ausländischen Gesellschaft automatisch als Prozessparteien (Kläger oder Beklagter) in den Prozess eintreten.
- Die Entscheidung beschäftigt sich nicht mit dem Zuzug von Gesellschaften, die einem Sitztheoriestaat gegründet wurden. Verlegen solche Gesellschaften ihren Verwaltungssitz nach Österreich ohne sich in eine (rechtsformähnliche) Gesellschaft österreichischen Recht umzuwandeln, wird die Rechtsfolge dieselbe sein, weil solche Gesellschaften selbst nach dem Wegzugsstaat (Sitztheoriestaat) nicht mehr als Gesellschaften des Wegzugstaats angesehen werden. Der Wegzugsstaat unterstellt diese weggezogenen Gesellschaften dem österreichischen Recht, da sich deren Verwaltungssitz in Österreich befindet. Österreich wiederum erkennt solche zugezogenen Gesellschaften nicht als Gesellschaften österreichischen Rechts an, weil sie nicht nach österreichischem Recht gegründet wurden.
Autor:innen
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Vedran ObradovićRechtsanwalt | PartnerDetails zur Person