Legal News Juni 2023
Newsletter – 30.06.2023
Es freut uns, Ihnen nachfolgend unsere Legal News für Juni 2023 zur Verfügung zu stellen.
Gegliedert nach Praxisgebieten haben wir aktuelle Judikatur und gesetzliche Neuerungen kompakt zusammengefasst:
- Arbeitsrecht
- Gesellschafts- und Konzernrecht
- Immobilienrecht
- Ligitation
- Private Clients
- Restrukturierung und Sanierung / Insolvenz
- Strafrecht | Compliance
- Unternehmens- und Vertragsrecht
- Datenschutz
Gewährung von Akkordähnlichen Prämien
Für die Gewährung von Akkordlöhnen und akkordlohnähnlichen Prämien ist in Betrieben aufgrund gesetzlicher Regelungen grundsätzlich das Einverständnis des Betriebsrats durch eine Betriebsvereinbarung einzuholen. Die zwingend erforderliche Mitbestimmung des Betriebsrates kann nicht durch Einzelvereinbarungen ersetzt werden. Die diesbezügliche Bestimmung verweist auf die besagten Entgeltbestandteile also solche, die aufgrund der Unterschreitung einer festgesetzten Normaldauer der Leistungserbringung gewährt werden. Dieser Normalwert muss nach dem Gesetz durch ein statistisches oder dem gleichzusetzendes Datenermittlungs- bzw Entgeltfindungsverfahren bestimmt werden.
Sollte der Betriebsinhaber diesen Wert jedoch durch reine Erfahrungswerte oder Schätzungen aufstellen, so ist diese Vorgehensweise nicht vom Wortlaut des Arbeitsverfassungsgesetzes erfasst. In der betroffenen Entscheidung befasste sich der Oberste Gerichtshof mit der Frage, ob in solch einem Fall ebenfalls die Zustimmung des Betriebsrates mittels Betriebsvereinbarung zwingend notwendig ist.
Im Ergebnis wurde abgesprochen, dass die Gewährung von Akkordlohn und akkordlohnähnlichen Prämien durch Unterbieten der vom Betriebsinhaber geschätzten Normaldauer der Leistungserbringung, keine Zustimmung des Betriebsrates benötigt. Deshalb ist auch keine zwingende Betriebsvereinbarung abzuschließen. Begründet wird dies damit, dass dieses Vorgehen nicht vom Regelungszweck des Gesetzes umfasst ist, da dieser sehr strikt auszulegen ist und die Ableitung aus bloßem Erfahrungswissen keinem normgerechten Verfahren zur Ermittlung gleichzusetzen ist.
OGH 21.11.2022, 8 ObA 48/22z
GESELLSCHAFTS- UND KONZERNRECHT
Zur Zulässigkeit von Mehrheitsklauseln bei Personengesellschaften
Eine GmbH & Co KG mit mehr als 200 Kommanditisten beabsichtigt zur Expansion des zum Unternehmen gehörenden Schigebiets eine wesentliche Umstrukturierung. Der hierfür erforderliche Gesellschafterbeschluss bedarf zu dessen Zustandekommen bei Personengesellschaften gemäß § 119 Abs 1 UGB grundsätzlich der Einstimmigkeit. Diese konnte im vorliegenden Fall allerdings nicht erreicht werden. Nach Ansicht der GmbH & Co KG sind die Änderungen dennoch im Firmenbuch einzutragen. Aufgrund einer im Gesellschaftsvertrag vorgesehenen Mehrheitsklausel sei nämlich sehr wohl ein wirksamer Gesellschafterbeschluss zustande gekommen. Schließlich hatte der OGH zu beurteilen, ob eine im Gesellschaftsvertrag vorgesehene Mehrheitsklausel in diesem Zusammenhang zulässig ist und ob der Beschlussgegenstand auch von dieser Klausel umfasst ist.
Der OGH spricht sich zunächst für eine Auslegung des Gesellschaftsvertrages aus. Diese hat bei einer KG nach Wortlaut und Zweck in seinem systematischen Zusammenhang zu erfolgen. Während die frühere Rechtsprechung von einem engen Bestimmtheitsgrundsatz ausging (wonach sich die Mehrheitsklausel ausdrücklich auf den Beschlussgegenstand beziehen musste), geht man heute von einer weitreichenderen Gestaltungsfreiheit aus. Inhaltliche Schranken setzt dabei, abgesehen von der Gesetz- und Sittenwidrigkeit, etwa der Kernbereich der Mitgliedschaftsrechte und andere, vom Wesen der Rechtsform abhängige Grundsätze. Wobei der Umfang und Inhalt dieses Schutzbereiches nach den Besonderheiten der konkreten Gesellschaft zu beurteilen ist und dabei insbesondere der Gesellschaftstyp, die Gesellschafterstellung, die Beziehungen zur und in der Gesellschaft sowie die Auswirkung des Beschlusses auf die gesamten wirtschaftlichen und persönlichen Lebensumstände der Betroffenen zu berücksichtigen sind.
Unter Berücksichtigung aller Umstände war der OGH der Ansicht, dass die beabsichtigte Umstrukturierung faktisch einer Umwandlung einer Personengesellschaft in eine Aktiengesellschaft gleichkommt. Zudem würde die Komplementär-GmbH weitgehende Kontroll- und Weisungsrechte sowie Einflussmöglichkeiten auf die operative Tätigkeit verlieren, weshalb jedenfalls der geschützte Kernbereich der Mitgliedschaftsrechte betroffen ist. Die Auslegung der Mehrheitsklausel ergibt somit, dass der hier einschlägige Beschlussgegenstand zur beabsichtigten Strukturänderung aus oben genannten Gründen nicht von deren Inhalt erfasst ist. Ob bei tiefgreifenden Strukturänderungen bei Personengesellschaften grundsätzlich Mehrheitsbeschlusse möglich sind, bleibt abzuwarten.
OGH 24.3.2023, 6 Ob 233/22s
Zur Gesetzwidrigkeit der Wertsicherungsklausel wegen Indexersatzregel
In der Entscheidung 2 Ob 36/23t nahm der OGH zu einer Wertsicherungsvereinbarung in einem Verbraucher-Mietvertrag Stellung. Das Bestandsobjekt liegt im Teilanwendungsbereich des MRG und die strittige Wertsicherungsklausel sieht eine Bindung an den Verbraucherpreisindex („VPI“) vor, und dass nach dem Ende der Verlautbarung dieses Index der diesem „am meisten entsprechende“ Index zur Anwendung kommt.
Eine Wertsicherungsvereinbarung in einem Verbrauchervertrag muss den Anforderungen des § 6 Abs 1 Z 5 Konsumentenschutzgesetz („KSchG“) entsprechen. Demzufolge muss die Wertsicherungsklausel bei Vorliegen der vereinbarten Voraussetzungen für eine Entgeltänderung auch eine Entgeltsenkung vorsehen, die für die Entgeltänderung maßgebenden Umstände im Vertrag umschreiben und sachlich gerechtfertigt sein, und ihr Eintritt darf nicht vom Willen des Unternehmers abhängen.
Der OGH entschied, dass die oben angeführte Ersatzindex-Regelegung, mangels näherer Kriterien für die Auswahl des Ersatzindex, gegen § 6 Abs 1 Z 5 KSchG verstößt. Der OGH begründet dies damit, dass darin weder festgelegt wird, welcher Index dem VPI „am meisten entspricht“, noch wer dies beurteilt. Im Endeffekt bleibe, nach Ansicht des OGH, völlig unklar welcher Wertmesser für die Preisanpassung bei Wegfall des ursprünglich vereinbarten Index maßgeblich sein soll.
OGH 21.3.2023, 2 Ob 36/23t
Haftung für zugesicherte Eigenschaft trotz Gewährleistungsausschluss
Der OGH hat sich in seinem Urteil zu 2 Ob 42/23z mit einem Gewährleistungsausschluss im Rahmen der Versteigerungsbedingungen einer Auktionsplattform beschäftigt, wonach Angaben des Verkäufers bloß unverbindliche subjektive Meinungen darstellen.
In concreto ersteigerte der Kläger über die Auktionsplattform eines Auktionshauses ein Oldtimer-Motorrad zu einem Preis von EUR 18.000,00. Dem Kaufvertrag mit dem beklagten Verkäufer liegen die Versteigerungsbedingungen des Auktionshauses zugrunde. Diese Bedingungen sehen einen umfassenden Gewährleistungsausschluss vor und halten fest, dass alle Angaben zur Identifikation des Versteigerungsobjekts „subjektive Meinungen des Verkäufers“ und „gänzlich unverbindlich“ sind.
Nach den Angaben des Beklagten in der bei der Auktion verwendeten Verkaufsanzeige wurde das Motorrad vor nicht allzu langer Zeit restauriert. Unter einem restaurierten Oldtimer verstehen die beteiligten Verkehrskreise ein Fahrzeug, dessen Originalzustand wiederhergestellt wurde und das verkehrssicher, betriebssicher und fahrbereit ist (aber nicht zwingend zulassungsfähig). Da das Motorrad bei Übergabe nicht diesem Zustand entsprach, begehrte der Kläger im vorliegenden Verfahren Preisminderung.
Der OGH folgte der Ansicht der Vorinstanzen und teilte die Ansicht, dass der oben angeführte Gewährleistungsausschluss zugesicherte Eigenschaften nicht umfasse. Die behauptete Restaurierung ist eine objektiv überprüfbare Tatsache und folglich handle es sich um eine zugesicherte Eigenschaft. Der oben angeführte Gewährleistungsausschluss greift in diesem Fall nicht.
OGH 21.3.2023, 2 Ob 42/23z
FAGG auch bei E-Mail-Vertragsabschluss anwendbar
In dieser Entscheidung befasste sich der OGH mit der Frage, ob das zweiwöchige Rücktrittsrecht des FAGG auch anzuwenden ist, wenn der Vertrag mittels E-Mail-Korrespondenz geschlossen wurde.
Nach der Legaldefinition des § 3 Z 2 FAGG bezeichnet ein „Fernabsatzvertrag“ jeden Vertrag, der zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher ohne gleichzeitige körperliche Anwesenheit des Unternehmers und des Verbrauchers im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems geschlossen wird, wobei bis einschließlich des Zustandekommens des Vertrags ausschließlich Fernkommunikationsmittel verwendet werden.
Der OGH hat in dieser Entscheidung festgehalten, dass die Annahme eines Fernabsatzgeschäfts keinen, insbesondere keinen standardisierten Geschäftsabschluss in einem Webshop voraussetzt, weil auch telefonische oder per E-Mail zustande gekommene Verträge den Tatbestand des Fernabsatzes erfüllen.
OGH 21.3.2023, 2 Ob 44/23v
Anforderungen an nichteheliche Lebensgemeinschaften aus erbrechtlicher Sicht
In der Praxis stellt sich vermehrt die Frage, welche Anforderungen an eine Lebensgemeinschaft gestellt werden, um als solch eine qualifiziert zu werden. Vorweg kann festgehalten werden, dass es keine gesetzliche Definition der Lebensgemeinschaft gibt. Der OGH definiert eine Lebensgemeinschaft als ein jederzeit lösbares eheähnliches Verhältnis, das aber von geringerer Festigkeit ist. Insbesondere komme es auf das Vorhandensein einer Wohn-, Wirtschafts- und Geschlechtsgemeinschaft an. Zwar handelt es sich hierbei um ein bewegliches System, doch stellt sich zunehmend die Frage, welche Folgen das Fehlen eines dieser Kriterien mit sich bringt, sofern dieses durch die anderen nicht ausgeglichen werden kann.
Vor dem Hintergrund, dass der OGH genannte Kriterien entwickelt hat für die Frage des Ruhens eines nachehelichen Unterhalts bei Wiedereingehen einer Lebensgemeinschaft, sollte uE jedenfalls für das Erbrecht ein großzügigeres Verständnis für die rechtliche Qualifikation einer Lebensgemeinschaft zur Anwendung gelangen. Dies wird ua bereits dadurch deutlich, dass grundsätzlich mit Auflösung einer Lebensgemeinschaft eine letztwillige Verfügung aufgehoben wird, sofern diese den Lebensgefährten betrifft. Es liegt sohin der Gedanke nahe, dass ein solches Vorgehen jedenfalls dann für einen Lebenspartner gelten sollte, mit dem man beispielsweise aus beruflichen Gründen bzw aufgrund finanzieller Unabhängigkeit nicht die Kriterien einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft erfüllt.
Im Ergebnis sprechen gute Gründe dafür, dass aus erbrechtlicher Sicht von den gefestigten Kriterien der Lebensgemeinschaft ein wenig Abstand genommen werden kann, andernfalls die Gefahr besteht, dass gesetzliche Folgen eintreten, welche vom Erblasser uU nicht erwünscht waren. Es empfiehlt sich daher bereits in der letztwilligen Verfügung entsprechende Vorkehrungen zu treffen.
Formgültiges Testament trotz Zeugenzusatz „als ersuchter Testamentserbe“
Die offenkundig versehentliche Bezeichnung der Testamentszeugen als „ersuchte Testamentserben“ hindert die Formgültigkeit eines fremdhändigen Testaments nicht. Dies sprach der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung 2 Ob 3/21i vom 15. Dezember 2022 aus. Der Oberste Gerichtshof begründete seine Entscheidung unter anderem damit, dass der gegenständliche Zeugenzusatz dennoch eine selbstständige textliche Ergänzung darstellt. Darüber hinaus indiziert das im Zusammenhang mit Testamentszeugen typischerweise verwendeten Wort „ersuchte“, welches im gegenständlichen Testament vor dem Wort „Testamentserbe“ angeführt wurde, dass der Testamentserrichter einen Zeugenzusatz vor Augen hatte. Der Umstand, dass die in der Unterschriftzeile genannten Personen nicht im Testament erwähnt bzw bedacht werden, deute zusätzlich auf einen Zeugenzusatz hin. Aufgrund des Fehlens anderer vernünftiger Deutungsmöglichkeiten liegt somit ein gültiger Zeugenzusatz vor, der die Formzwecke des fremdhändigen Testaments wahrt.
OGH 21.2.2023, 2 Ob 3/21i
Einfluss von Geschäftsführerbefugnissen bei der Frage, ob eine bloße Wertanlage vorliegt?
Die Ehegattin war einzelvertretungsbefugte (Mit-)Geschäftsführerin an einer während aufrechter Ehe im Jahr 2001 von den Ehegatten gemeinsam gegründeten GmbH. Der Ehegatte beantragte im Aufteilungsverfahren ihm den 20 %igen Gesellschaftsanteil der Ehegattin zu übertragen, deren Geschäftsführer und 80 %iger Mitgesellschafter er ist. Geschäftsführerbefugnisse wurden von der Ehegattin faktisch nicht ausgeübt.
Vorweg kann festgehalten werden, dass Anteile an einem Unternehmen nicht der Aufteilung unterliegen, es sei denn, es handelt sich um bloße Wertanlagen. Der OGH hielt diesbezüglich fest, dass eine solche bloße Wertanlage vorliegt, wenn mit der Beteiligung keine Mitwirkung an der Unternehmensführung oder sonst ein maßgeblicher Einfluss verbunden ist. Dafür reicht die bloße rechtliche Möglichkeit aus, eine tatsächliche Ausübung ist nicht erforderlich. Dem Geschäftsführer kommt maßgeblicher Einfluss zu, sofern er über eine ausreichende Beteiligung verfügt. Abzustellen ist auf die Umstände des Einzelfalls wie Rechtsform, Art der Beteiligung und Gesellschaftsvertrag.
Vorliegend lag im Ergebnis keine bloße Wertanlage vor, weil die Ehegattin zu 20 % beteiligt und bis 2014 einzelvertretungsbefugte Geschäftsführerin war, auch wenn sie ihre Befugnisse faktisch nicht ausübte. Deutlich wird nun, dass trotz Fehlens einer „echten“ Sperrminorität ein tatsächlich gegebener maßgeblicher Einfluss zu berücksichtigen ist. Unklar bleibt jedoch weiterhin, was mit einer „ausreichenden Beteiligung“ gemeint ist.
OGH 14.9.2022, 1 Ob 109/22v
Die unterschiedlichen Fälle der Anrechnung auf den Erbteil
Die Anrechnung auf den Erb- sowie Pflichtteil behandelt – anders als die Hinzurechnung zur Verlassenschaft – die Anrechnung einer durch den Verstorbenen gemachten Schenkung durch den Erben sowie Pflichtteilsberechtigten auf einen allfälligen Erb- bzw Pflichtteilsanspruch. Hinsichtlich der Anrechnung von vom Verstorbenen gemachten Schenkungen ist zwischen der Anrechnung auf den Pflichtteil sowie der Anrechnung auf den Erbteil zu differenzieren. Sowohl die Anrechnung auf den Erbteil als auch die Anrechnung auf den Pflichtteil kann durch den Verstorbenen erlassen werden, sodass der Verstorbene grundsätzlich frei entscheiden kann, ob eine Gleichstellung der Erben und Pflichtteilsberechtigten erfolgen soll. Die Anrechnung auf den Erbteil unterscheidet sich von der Anrechnung auf den Pflichtteil insbesondere dadurch, dass diese lediglich auf die Mittel der Verlassenschaft beschränkt ist. Bei der Anrechnung auf den Pflichtteil steht verkürzten Pflichtteilsberechtigten hingegen ein Pflichtteilsergänzungsanspruch zu. Die Anrechnung auf den Erbteil kann auf Wunsch des Verstorbenen sowie auf Wunsch eines Nachkommen erfolgen. Die Anrechnung auf Wunsch des Verstorbenen umfasst Schenkungen an alle letztwillig eingesetzten Erben, als auch Ehegatten und Nachkommen, wohingegen die Anrechnung auf Wunsch eines Nachkommens, nur auf Schenkungen zugunsten anderer Nachkommen begrenzt ist. Sofern der Verstorbene keine Anordnung trifft, kann die Anrechnung auf den Erbteil somit nur auf Wunsch eines Nachkommens hinsichtlich der an andere Nachkommen gemachten Schenkungen erfolgen. Beschenkt der Verstorbene hingegen einen Nachkommen und ordnet die Anrechnung auf den Erbteil an, so hat ein Ausgleich zugunsten aller Erben zu erfolgen.
Hinzu- und Anrechnung nur bei Freigiebigkeit
Der Oberste Gerichtshof hat sich in zwei aktuellen Entscheidungen mit der Hinzu- und Anrechnung von gemischten Schenkungen befasst.
Die Sachverhalte dieser Entscheidungen ähnelten sich dahingehend, dass beide Male ein Übergabevertrag über eine Liegenschaft zwischen dem späteren Erblasser und einem seiner Kinder geschlossen wurde. Als „Gegenleistung“ wurde in den Entscheidungen die Übernahme eines Kredits vereinbart. In 2 Ob 205/22v wurde darüber hinaus noch die Leistung einer monatlichen Leibrente, in der Entscheidung 2 Ob 184/22f die Einräumung eines uneingeschränkten Wohngebrauchsrechts, vereinbart.
Beide Male wurde nach dem Ableben des Übergebers die Hinzu- und Anrechnung auf den Pflichtteil gefordert, da der Wert der Liegenschaft den Wert der „Gegenleistung“ übersteige und sohin eine gemischte Schenkung angenommen wurde.
Der Oberste Gerichtshof betonte in beiden Entscheidungen, dass eine Schenkung sowohl eine objektive als auch eine subjektive Komponente, nämlich den Willen zur Freigiebigkeit, benötige. Eine gemischte Schenkung könne nicht nur schon deshalb angenommen werden, weil ein Teil objektiv wertvoller ist. Die Parteien müssen die teilweise Unentgeltlichkeit auch gewollt haben. Diese subjektive Komponente sei demnach durch den Kläger zu beweisen. In Praxis empfiehlt es sich daher den (mangelnden) Schenkungswillen im Übergabevertrag selbst entsprechend zu dokumentieren.
OGH 13.12.2022, 2 Ob 184/22f und 13.12.2022, 2 Ob 205/22v
Absolute Nichtigkeit des Pflichtteilsverzichts
Der Oberste Gerichtshof (OGH) setzte sich in der gegenständlichen Entscheidung (OGH 16.3.2022, 2 Ob 175/21f) mit einem von einer geschäftsunfähigen Vertragspartei erklärten Pflichtteilsverzicht auseinander.
Unstreitig war im gegenständlichen Fall, dass die Klägerin bei Erklärung des Pflichtteilsverzichts geschäftsunfähig war. Der OGH bestätigte die Entscheidung des Berufungsgerichts und sprach aus, dass der Pflichtteilsverzicht, der im Zustand der Geschäftsunfähigkeit erklärt wurde, absolut nichtig ist und keiner Anfechtung bedarf; verjährungsrechtliche Fristen sind nicht zu berücksichtigen.
Aus gebotener Vorsicht ist es daher jedenfalls ratsam, bei Abschluss eines solchen Rechtsgeschäfts, die Geschäftsfähigkeit der Vertragsparteien – um spätere Zweifel zu vermeiden – beispielsweise im Pflichtteilsverzicht hinreichend zu dokumentieren.
OGH 16.3.2022, 2 Ob 175/21f
RESTRUKTURIERUNG UND SANIERUNG / INSOLVENZ
Anfechtbarkeit von Zug-um-Zug-Geschäften
Der OGH erkannte in dieser Entscheidung, dass im Falle der Erbringung einer Vorleistung durch den Gläubiger kein Zug-um-Zug-Geschäft vorliegt, wenn die Gegenleistung (Zahlung) zwei Monate später erfolgt.
Gegenständlich wurde der Beklagte von der Schuldnerin mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt, welches als Entwurf übermittelt wurde. Die Schuldnerin ersuchte um Rechnungslegung und bezahlte zwei Monate später den verrechneten Betrag noch bevor über ihr Vermögen ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Dem Beklagten war im Zahlungszeitpunkt bekannt, dass die Schuldnerin zahlungsunfähig war.
Gem § 31 Abs 1 Z 2 Fall 1 IO sind Rechtshandlungen, welche nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit vorgenommen wurden, durch die ein anderer Insolvenzgläubiger Sicherstellung oder Befriedigung erlangt hat, anfechtbar, wenn dem Gläubiger die Zahlungsfähigkeit bekannt war oder bekannt sein musste. Die Anfechtbarkeit wird jedoch nach ständiger Rechtsprechung bei Zug-um-Zug-Geschäften verneint. Der Grund liegt darin, dass ein Vertragspartner, der nur Zug um Zug gegen Zahlung leistet, gerade kein Insolvenzrisiko eingehen will und daher nicht Gläubiger im Sinn dieser Bestimmungen ist.
Im konkreten Fall kam der OGH zum Ergebnis, dass allerdings kein Zug-um-Zug-Geschäft vorliegt, da der Beklagte mit der Übergabe des Gutachtenentwurfs eine Vorleistung erbracht hat und auch seine Leistung gerade nicht von der Zahlung der Schuldnerin, welche überdies erst zwei Monate später erfolgte, abhängig gemacht hat. Aus diesem Grund war er Gläubiger iSd § 31 Abs 1 Z 2 Fall 1 IO. Weiters hielt der OGH fest, dass ein Werkunternehmer das Werk grundsätzlich nur Zug um Zug gegen Zahlung des Werklohns herauszugeben habe. Hierfür müsste der Werkunternehmer die Übergabe des Werkes jedoch auch tatsächlich von der Werklohnzahlung abhängig machen, was gegenständlich auch nicht der Fall war.
OGH 12.7.2022, 17 Ob 12/22x
Betrug im Zusammenhang mit Kurzarbeitsbeihilfen
Im zugrundeliegenden Sachverhalt hat der angeklagte Unternehmensberater von Mai 2020 bis Juni 2021 drei seiner Mitarbeiter ohne betriebliche Notwendigkeit unter Vorspiegelung wirtschaftlicher covidbedingter Schwierigkeiten zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit, zur Kurzarbeit angemeldet.
Der Angeklagte hat monatlich entsprechende Abrechnungsdateien an das Arbeitsmarktservice übermittelt und es wurden an diesen in weiterer Folge Kurzarbeitsbeihilfen in Höhe von gesamt EUR 60.351,22 (Zeitraum Mai 2020 bis März 2021) zur Auszahlung gebracht. Die weiteren Kurzarbeitsbeihilfen in Höhe von rund EUR 15.000 für den Zeitraum von April 2021 bis Juni 2021 hat der Angeklagte zwar beantragt, diese wurden aber letztendlich nicht ausbezahlt. Der Angeklagte wurde daher aufgrund dieses Sachverhaltes des (teilweise versuchten) schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 2, 15 StGB schuldig erkannt.
Der OGH hat die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten zurückgewiesen und festgehalten, dass bereits die Antragstellung zur Kurzarbeitsbeihilfe eine Ausführungshandlung (und damit Versuchsbeginn und nicht bloß eine straflose Vorbereitungshandlung) darstellt.
Diese OGH-Entscheidung zeigt sehr deutlich, dass unter Vorspiegelung falscher Tatsachen beantragte Kurzarbeitsbeihilfen bzw andere Förderungen keine Finanzvergehen darstellen, sondern die Tatbestände des gerichtlichen Kernstrafrechts erfüllen.
OGH 9.5.2023, 11 Os 35/23s
UNTERNEHMENS- UND VERTRAGSRECHT
Zur laesio enormis bei Optionen
In der Entscheidung 4 Ob 217/21x hat sich der OGH mit dem maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung des Missverhältnis der vereinbarten Leistungen bei einem durch Ausübung eines Optionsrechts in Wirksamkeit gesetzten Vertrag beschäftigt.
Die Streitteile waren von 1999 bis 2017 Lebensgefährten. Der Kläger errichtete auf einem Grundstück, das der Beklagten von ihren Eltern geschenkt wurde, im Zeitraum von 2008 bis Anfang 2010 eine Werkshalle. Die Umwidmung des Grundstücks in Bauland – Gewerbegebiet erreichte der Kläger durch sein Bemühen und er zahlte auch die Kosten dafür. Im Jahr 2009 schlossen die Streitteile einen Optionsvertrag, der dem Kläger die Möglichkeit einräumte, das Grundstück um EUR 60.000 (wertgesichert) zu erwerben.
Der Kläger übte 2018 sein Optionsrecht aus und begehrt zusammengefasst, die Beklagte schuldig zu erkennen, aufgrund des durch Ausübung des Optionsrechts zustande gekommenen Kaufvertrags Zug um Zug gegen Bezahlung des Kaufpreises in die Einverleibung des Eigentumsrechts für den Kläger einzuwilligen. Die Beklagte wendete aufgrund des Missverhältnisses der vereinbarten Leistungen Verkürzung über die Hälfte (laesio enormis) ein.
Die Frage nach dem maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung des Missverhältnisses der Leistungen wurde in der Rechtsprechung bisher uneinheitlich beantwortet.
Der verstärkte Senat des OGH sah den Zeitpunkt der Einräumung der Option als maßgeblich an. Bei einer Option ist in Analogie zum verwandten Institut des Vorvertrags, bei dem der Abschluss des Vorvertrags und nicht jener des Hauptvertrags als relevant angesehen wird, der Zeitpunkt der Einräumung der Option für die Beurteilung des Missverhältnisses der gegenseitigen Leistungen maßgebend.
OGH 28.3.2023, 4 Ob 217/21x
Schadenersatz nach der DSGVO
In der vorliegenden Entscheidung hat sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit der Frage des immateriellen Schadenersatzanspruches nach Art 82 DSGVO befasst. Der Entscheidung liegt ein Vorabentscheidungsersuchen des Obersten Gerichtshofes im Verfahren gegen die Österreichische Post zu Grunde. Die Post definierte mit Hilfe eines Algorithmus anhand sozialer und demografischer Merkmale „Zielgruppenadressen“. Aus den so gesammelten Daten leitete die Österreichische Post ab, dass ein bestimmter Bürger eine hohe Affinität zu einer bestimmten österreichischen politischen Partei habe.
Eine davon betroffene Person begehrte immateriellen Schadenersatz, da dessen Daten ohne Einwilligung verarbeitet wurden und dieser sich aufgrund dessen bloßgestellt fühlte und die Veröffentlichung der Daten als Beleidigung empfand. Im inländischen gerichtlichen Instanzenzug wurde der Anspruch auf Schadenersatz abgelehnt, da der geltend gemachte Schaden nicht erheblich genug sei. Daraufhin wurde der EuGH vom obersten Gerichtshof angerufen und um Vorabentscheidung ersucht.
Der EuGH entschied im konkreten Fall, dass jeder bloße Verstoß gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen nicht ausreicht, um sogleich einen Schadenersatzanspruch zu begründen. Im Falle eines bestehenden immateriellen Schadenersatzanspruches darf jedoch keine Erheblichkeitsschwelle eingezogen werden, weshalb dadurch auch geringfügige Schäden dieser Art ersatzfähig sind. Der EuGH hielt weiters fest, dass drei kumulative Voraussetzungen für einen Schadenersatz gegeben sein müssen: ein Verstoß gegen die DSGVO, ein materieller oder immaterieller Schaden, der aus diesem Verstoß resultiert, und ein Kausalzusammenhang zwischen dem Schaden und dem Verstoß.
EuGH, 4.5.2023 – C-300/21
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Johannes EdthalerRechtsanwalt | PartnerDetails zur Person
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Christina HödlmayrRechtsanwältin | PartnerinDetails zur Person